Persönlich

Was ich aus einem jahr in einem kleinen dorf in spanien gelernt habe

Was ich aus einem jahr in einem kleinen dorf in spanien gelernt habe

Ein Jahr im kleinen Dorf: Warum langsamer leben nicht gleich faul ist

Als ich vor einem Jahr in dieses kleine spanische Dorf zog, hatte ich viele Bilder im Kopf: weiße Häuser, enge Gassen, Nachbarinnen, die frühmorgens Brot backen. Was ich nicht erwartet hatte, war, wie sehr mein Zeitgefühl, mein Blick auf Gemeinschaft und meine kleinen Alltagsrituale sich verschieben würden. Hier teile ich, was ich gelernt habe — ehrlich, ungeschönt und mit der Hoffnung, dass es dich inspiriert oder zumindest neugierig macht.

Die Kunst, nichts zu überstürzen

In der Stadt war Zeit ein knapperes Gut: Termine, Deadlines, schnell noch etwas erledigen. Im Dorf hat sich mein Puls verlangsamt. Das bedeutet nicht, dass nichts passiert — im Gegenteil. Die Tage sind voll, aber mit anderen Dingen: Gespräche auf der Plaza, das Warten auf den Bäcker, während man eine Tasse Café con Leche trinkt, oder das Beobachten der Wolken über den Olivenhainen.

Ich habe gelernt, dass Pausen produktiv sein können. Schönes Beispiel: Ich nehme mir jetzt bewusst 15 Minuten am Morgen, um aufzuschreiben, was mich bewegt. Oft entstehen daraus kleine Blogideen oder Klarheit für den Tag. Diese Mini-Rituale haben mir geholfen, kreativer zu werden, ohne mich zu zwingen.

Nachbarschaft als Ressource

Als Fremde wurde ich schnell Teil des Dorfes — nicht durch Großzügigkeit allein, sondern durch Alltagssituationen: Hilfe beim Einkaufen, eine Einladung zum Abendessen, Tipps für die beste Fraktion des Marktes. Die Nachbarschaft hier funktioniert weniger über formelle Netzwerke und mehr über direkte, praktische Hilfe.

  • Teilen: Werkzeuge, Rezepte, Zeit. Ich habe gelernt, wie bereichernd es ist, Dinge zu teilen statt alles selbst zu besitzen.
  • Verlässlichkeit: Wenn jemand sagt, er kommt um zehn, dann ist das eine Absicht — aber zeitliche Flexibilität ist normal und nicht unhöflich.
  • Zwischenmenschliche Reparaturen: Konflikte werden oft direkt, manchmal mit Humor, angesprochen. Das hat mir eine neue Form von Konfliktkultur gezeigt.

Die Sprache als Türöffner

Ich spreche Spanisch, aber nicht fließend. Anfangs fühlte ich mich oft unsicher. Doch es stellte sich heraus, dass Bemühen und Freundlichkeit mehr öffnen als perfekte Grammatik. Die Dorfbewohner*innen schätzen Versuche, ihre Sprache zu sprechen — und korrigieren oft mit einem Lächeln.

Ein konkretes Learning: Alltagsfloskeln wie "¿Cómo va?" oder "Gracias, hija" sind mehr wert als lange, perfekte Sätze. Sie schaffen Nähe. Und: Ich habe angefangen, regionale Begriffe zu sammeln — Worte, die in keiner Schulgrammatik stehen, aber die Seele des Ortes ausdrücken.

Essen, Verbindungen und Rituale

Das Essen hier ist mehr als Nahrungsaufnahme — es ist Austausch. Ein Abendessen kann mehrere Stunden dauern, wird begleitet von Geschichten, Wein und dem langsamen Verschwinden der Sonne. Ich habe gelernt, dass das gemeinsame Essen ein soziales Gerüst ist: Es verbindet, glättet Spannungen und macht Raum für Neues.

Ich habe auch gelernt, regionale Produkte zu schätzen: der Geschmack eines vollreifen Tomate vom Markt, der Käse einer kleinen Käserei, das Olivenöl, das so anders schmeckt als das aus dem Supermarkt. Marken spielen hier eine andere Rolle — der Hofproduzent ist oft wichtiger als ein großer Name. Manchmal kaufe ich Produkte direkt bei der Erzeugerin, andere Male hilft mir die lokale Genossenschaft weiter.

Die Natur als Kalender

Im Dorf richtet sich der Alltag stärker nach den Jahreszeiten. Das hat meine Wahrnehmung für Zeit und Veränderung vertieft. Die Mandelblüte im Frühling, die Hitzewelle im Juli, die Ernte im Herbst — all das markiert Lebensabschnitte.

Ich gehe jetzt öfter spazieren, ohne ein Ziel. Diese Spaziergänge sind für mich fast wie meditatives Schreiben: Ich nehme Eindrücke auf, notiere Gerüche, Farben, Gespräche. Diese Praxis hat meine Beobachtungsgabe geschärft und meine Texte lebendiger gemacht.

Technik und Entschleunigung

Natürlich gibt es Internet, Handys und Lieferdienste. Aber das Tempo ist anders. Manchmal ist die Verbindung langsam, und das lehrt Geduld. Ich habe bewusste Regeln eingeführt: abends schalte ich mein Mail-Programm aus, um nicht ständig erreichbar zu sein. Diese digitale Diät hat meine Konzentration verbessert und mir Raum für echte Begegnungen gegeben.

Was ich praktisch geändert habe

  • Weniger Besitztum: Ich habe unnötige Dinge verkauft oder verschenkt. Platz schafft Freiheit.
  • Mehr lokale Einkäufe: Ich unterstütze Kleinbetriebe und lerne Produzent*innen kennen.
  • Rituale: Tägliche Schreibzeit, Wochenmarktbesuch am Samstag, Sonntagskaffee mit einer Nachbarin.

Missverständnisse und Realität

Es gibt auch Schattenseiten. Einsamkeit kann auftreten, vor allem wenn große Familienstrukturen fehlen oder wenn man neu ist und noch nicht voll integriert. Außerdem ist die medizinische Versorgung manchmal beschränkt — kleine Probleme lassen sich meistens lösen, aber größere Anliegen erfordern eine Fahrt in die nächste Stadt.

Ein weiteres Reality-Check: Bürokratie bleibt Bürokratie. Papiere, Formalitäten und Ämter haben auch hier ihren eigenen Charme — nicht immer. Geduld und ein bisschen Humor sind hilfreicher als Perfektion.

Was ich anders sehe

Ich habe gelernt, einfache Dinge zu schätzen: ein Gespräch auf der Bank, eine Einladung zum Abendessen ohne großen Anlass, das Geräusch der Zikaden im Sommer. Mein Blick auf Erfolg hat sich verschoben: Es geht mir weniger um sichtbare Produktivität und mehr um Qualität von Erlebnissen und Beziehungen.

Außerdem hat mich das Dorf gelehrt, wie wichtig lokale Initiativen sind. Kleine Projekte — etwa ein Gemeinschaftsgarten, eine Nachbarschaftsinitiative für Mülltrennung oder ein Kulturabend in der Gemeindehalle — können viel bewegen. Sie machen den Ort lebendig und geben Menschen die Chance, aktiv mitzugestalten.

Praktische Tipps, falls du es auch probieren willst

  • Sprache lernen: Ein paar Sätze bringen dich weit. Sprachkurse, Tandempartner*innen oder lokale Treffen helfen.
  • Netzwerk aufbauen: Geh zu Markt, Festen und lokalen Veranstaltungen. Präsenz zählt.
  • Digitales Timing: Richte feste Zeiten für E-Mails und Social Media ein, um nicht in alten Mustern zu verharren.
  • Probiere lokale Produkte: Kauf direkt bei Erzeuger*innen — das fördert die lokale Wirtschaft und bietet Genuss.
  • Sei offen für Fehler: Missverständnisse passieren. Lachen hilft oft mehr als Perfektion.

Das Jahr im Dorf hat meinen Blick erweitert: auf Gemeinschaft, Zeit und das, was wirklich zählt. Ich nehme viele kleine Lektionen mit — und das Gefühl, dass man mit ein bisschen Mut und Neugier in jedem Ort Wurzeln schlagen kann.

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